Die farbenfrohe Welt von Wendt und Kühn
Dreihundert hölzerne, halbrunde Scheiben demonstrieren die faszinierende Bandbreite der Farben, die in den Werkstätten zum Einsatz kommen - und das sind noch lange nicht alle. Über 400 Nuancen verleihen den in der Grünhainichener Manufaktur gefertigten Artikeln ihre Lebendigkeit. Die Natur diente Grete und Olly Wendt bei der Farbgestaltung der Figuren als Vorbild - denn auch im wahren Leben gleicht kein Ton dem anderen. Blau ist nicht gleich Blau, die Palette der Rottöne ist unendlich, es gibt unzählige Grüns. Im Licht der strahlenden Sommersonne entfaltet sich das Gelb anders als im Frühling, wenn sich die ersten schüchternen Strahlen durch die Wolkendecke trauen. Und so leuchtet das Gelb der stolzen Sonnenblume anders als das der bescheidenen Narzisse.
Grete Wendt hatte dies ganz genau beobachtet und in die Farbgestaltung ihrer Figuren einfließen lassen. Liebenswertes zu schaffen, was das Herz berührt - das war ihr Anspruch und Ansporn zugleich. „Die Natur und das Leben geben so viel Schönes vor, was es wert ist, festgehalten zu werden: Ein Mädchen im Sommerkleid zum Beispiel, das über eine blühende Blumenwiese hüpft", erläutert Katrin Wojtkowiak, die den gestalterischen Schatz bei Wendt und Kühn hütet. „Es ist Ausdruck des künstlerischen Schaffens unserer großen Gestalterinnen, mit wie viel Überlegung und Hingabe sie die Schönheit der Natur in ihren Figuren spiegelten." Für jede Figur mischten Grete und Olly Wendt individuelle Farben, bis sie genau die gewünschte Stimmung zum Ausdruck brachten. Deshalb leuchtet das rote Kleid des Sommer-Blumenkindes eben doch ein bisschen roter als der frühlingsrote Rock des Mädchens mit Winterling. Dabei kommt es nicht nur auf die einzelne Farbe an, sondern auch auf das Zusammenspiel der verschiedenen Töne. So muss das Rot des Kleides immer in Harmonie zu den anderen Farben dieser Figur stehen - und auch zu den anderen Figuren der Blumenkinder-Reihe. „Wer in dieser Güte Farben mischen und zusammenstellen kann, hat die Gabe eines Künstlers", sagt Katrin Wojtkowiak.
Wie ein Maler, der ein Bild malt, mischten Grete und Olly Wendt ihre Farben und machten sie zueinander stimmig, bis sich ein harmonisches Gesamtbild ergab. Es flossen das geballte Wissen, die jahrzehntelange Erfahrung, der geschulte Blick und das feine Kunstverständnis der beiden in jede Gestaltung ein - so wie ihre fröhliche Sicht auf die Welt. Ihre große Meisterschaft in der Farbgebung wird in der Manufaktur seit 100 Jahren bewahrt - und alles beruht ausschließlich auf Erfahrung, Überlieferung und Augenmaß. Es gibt keine Rezepte, kein computergestütztes Programm, das die Farben mischt. Einige wenige Farben, die in größeren Mengen verarbeitet werden, werden nach Vorgabe direkt vom Produzenten gemischt - das Sockelgrau zum Beispiel oder die zarte Gesichtsfarbe. Bevor sie jedoch auf die Figuren aufgebracht werden, müssen sie dem scharfen Blick von Kerstin Lorenz, Meisterin einer der beiden Malereien, standhalten. Sie vergleicht den Ton in den Töpfen ganz genau mit den bisherigen Lieferungen. „Bei Abweichungen schicken wir die Farbproben so lange hin und her, bis alles hundertprozentig passt." Schließlich wollen alle Engel auf der großen Engelwolke ihre Flügel mit genau demselben Grünton schmücken.
Alle anderen Farben - also knapp 400 an der Zahl - werden bei Wendt und Kühn von Hand gemischt. Nur Kerstin Lorenz und zwei weitere versierte Mitarbeiterinnen haben die Hoheit über die Farben. „Das Farbenmischen ist Gefühlssache. Es kommt aus dem Bauch heraus", beschreibt die Meisterin ihre Kunst. Sie nimmt uns mit in ihr „Farblabor". In langen Regalen stehen unzählige Töpfe und Gläser - nicht etwa riesige Eimer und Kübel, sondern kleine Behälter, die meisten fassen einen Liter. Dazu viele Gläser und Dosen, in denen nur ein paar Tropfen Farbe angemischt sind, etwa für die Punkte auf einem Rock oder die Bändchen einer Schleife. Ausgangspunkt für jeden der rund 400 Töne sind gerade einmal fünf Grundfarben: Chromgelb, Ultramarinblau, Blaugrün, Karminrot und Hellrot. Dazu ein bisschen Weiß und Schwarz, letzteres aber, warnt Kerstin Lorenz, ist mit großer Vorsicht zu genießen. Und so mischt die Meisterin Hunderte von Nuancen aus diesen fünf Töpfen: Ein bisschen Ultramarinblau als Grund, dazu ein paar Tropfen vom Blaugrün, ein Quäntchen Chromgelb, abgestimmt mit einem Tupfen Weiß. Aufstreichen und abgleichen mit dem Handmuster. Noch eine letzte kleine Verfeinerung, zwei Tropfen Grün könnten es noch sein. Umrühren, stehen lassen. Am nächsten Tag heißt es wieder schauen, ins Licht halten, nochmal umrühren, abgleichen. Erst wenn alles passt, kann die Farbe in die Malerei. Auch hier überlässt die Meisterin nichts dem Zufall. Sie führt uns in einen langen Gang mit zahllosen Schubkästen. Darin stehen, fein beschriftet, nummeriert und aufgereiht, kleine Kartons mit Farbgläsern - eine Schachtel für jede Figur. Einmal Rot für die Jacke, Grau für den Hut - das muss für den Jungen mit Krokus sein. Daneben eine Schachtel mit Gläsern in Himmelblau, Zartrosa, Sonnengelb - damit schmückt sich schon bald das Mädchen mit Buschwindrose.
Kerstin Lorenz holt verschiedene Gläser, gefüllt mit blauer Farbe, herbei und reiht diese nebeneinander. Auf den ersten Blick sehen die Blautöne fast gleich aus. Doch als sie die hölzernen Umrührstäbchen aus den Farbgläsern nimmt und sie direkt aneinander legt, wird die beeindruckende Farbvielfalt deutlich. Tatsächlich - jedes Blau ist anders! Schauen wir uns das Mädchen mit Veilchen an: Es zieht einen dunkelblauen Puppenwagen mit blassblauer Plane. In der Hand hält es eine gewitterhimmelblaue Veilchenblüte, deren feine Blütenstrahlen in einem noch tieferen Blau abgesetzt sind. Die Kringel auf seinem Kopftuch leuchten in zartem Lichtblau - fünf verschiedene Blautöne an einer einzigen Figur. Farbenreichtum à la Wendt und Kühn.
Sorgfältig packt Kerstin Lorenz die Gläser zurück in den richtigen Karton, woraus die Malerinnen dann die von der Meisterin vorbereitete Farbzusammenstellung für ihre Figuren holen. „Vor dem Frühling ist bei uns die heiße Zeit des Mischens", erzählt Kerstin Lorenz. Denn dann werden die Blumenkinder bemalt, und diese sind besonders farbenreich."
Doch nicht nur die Farbenvielfalt macht die Figuren aus der Grünhainichener Manufaktur so einzigartig, sondern auch deren Brillanz. Die intensive Strahlkraft ist dem außergewöhnlichen Lack zu verdanken, mit dem bei Wendt und Kühn traditionsgemäß gemalt wird: Spiritus-Kopallack. Er basiert auf einem Harz. Der Grundstoff sieht ein bisschen aus wie brauner Kandiszucker. Einen einzigen Spezialanbieter gibt es in ganz Deutschland, der diesen Lack herstellt. „Die Zusammenarbeit besteht seit Jahrzehnten, auch bei neuen Projekten oder Sonderfragen ist der Produzent immer für uns da", erzählt Kerstin Lorenz. Beispielsweise bei der neuen Edition „Klangfarbe Weiß", die mit einem speziellen UV-Blocker ausgestattet ist, damit das Weiß viele Jahre lang strahlend hell bleibt. „Der Spiritus-Kopallack sorgt für den besonderen Glanz und zeichnet sich durch eine einzigartige Bindung und Deckkraft aus. Er ist mit nichts anderem zu vergleichen", ist Kerstin Lorenz voll des Lobes. „Für uns sind das die perfekten Farben."
Doch die herausragenden Eigenschaften haben ihren Preis. Der Kopallack ist alles andere als einfach in der Verarbeitung. Er reagiert stark auf Temperaturschwankungen und braucht eine sehr lange Trockenzeit - bis zu acht Wochen müssen größere Figuren stehen bleiben, damit die Farben richtig durchtrocknen können. Vieles wäre einfacher in der Bemalung mit schnell aushärtenden Lacken zum Beispiel oder fertigen Farbmischungen. Doch auch in dieser Frage steht die Tradition ganz oben. Die Meisterschaft der Farbgebung wird bei Wendt und Kühn seit 100 Jahren bewahrt: die variantenreiche Farbauswahl, die feine Abstimmung, das Mischen von Hand nach Augenmaß und mit feinem Gefühl. Ist dieses Farbgefühl erlernbar? Meisterin Kerstin Lorenz sieht es so: „Die Malerinnen, die bei uns arbeiten, verfügen über ein ganz besonderes Geschick und individuelle Fähigkeiten. Jede dieser Begabung entsprechend zu fördern, ist wie ein großes Puzzle zusammenzusetzen, das ein wunderbares Ganzes ergibt." Und dann braucht es Übung, Übung, Übung, damit sich ein Erfahrungsschatz aufbaut. „Ich habe das Farbenmischen von der Pike auf gelernt", erzählt sie. „Dabei habe ich ganz viel probiert: Wie gelange ich zu einem bestimmten Ton, was passiert, wenn man dieses oder jenes dazu mischt? Es war ein intensiver Lernprozess, der viel Durchhaltevermögen erforderte." Heute geht ihr das Farbenmischen leicht von der Hand. Sie sieht ganz genau, was es braucht, um die Farbgebung eines Musters auf den Punkt zu treffen. Augenmaß eben, begleitet von Liebe, Erfahrung und Geschick.
Bild oben: In jeweils einem Kasten werden alle Farben, die für die Bemalung einer Figur benötigt werden, sorgfältig aufbewahrt. Hier für unser Mädchen mit Sternmiere.
Alles Fähigkeiten, die auch an anderer Stelle der Manufaktur unerlässlich sind: in der Reparaturabteilung. Ein gestreiftes Kätzchen hat sich auf dem alten Spardosen-Ofen zusammengerollt, die Fellfarbe ist stellenweise abgeblättert. Bei einem sehr alten Engel ist der Rock zerkratzt, die grüne Wiese einer Spieldose hat auch schon bessere Tage gesehen. Und ein jahrzehntealtes Frühlingskind im zartkarierten Kleid wartet mit gebrochenem Arm auf Hilfe. Hier liegt es in der Kunst von Claudia Hähner und ihren Kolleginnen, diesen alten Schätzen wieder zu neuem Glanz zu verhelfen - ganz behutsam. Schließlich sollen Kätzchen, Frühlingskind, Engel und Spieldose nach der Reparatur nicht wie neu aussehen, sondern ihre Tradition noch atmen. „Man darf nicht zu viel wollen", sagt die Restauratorin. „Wenn bei dem Blumenkind nur der Arm kaputt ist, repariere ich diesen Arm und dann ist es gut. Niemals würde ich das ganze Kleid neu bemalen. Vielmehr ist es unser Ziel, den reparierten Arm so mit Farbe zu versehen, dass man keinen Unterschied zum Rest des Kleides sieht - selbst wenn dieses schon seit vielen Jahrzehnten den Leib des Mädchens ziert." Die Herausforderung dabei: Farben verändern sich im Laufe der Zeit. Man könnte also niemals einfach einen Farbtopf öffnen und den reparierten Arm neu bemalen. Zu augenfällig wäre der Unterschied zum Rest des Kleides. Also heißt es mischen. „Wir wollen genau den Ton treffen, den die Farbe mit den Jahren angenommen hat", beschreibt Claudia Hähner ihren Anspruch. Kleiner Trick: Zum Ausprobieren streicht sie die gemischte Farbe auf stark holzhaltiges Papier auf. „Das Papier hat ähnliche Eigenschaften wie das Holz", verrät sie. „So bekomme ich einen guten Eindruck, wie die Farbe an der Figur wirkt." Und tatsächlich: Nach der Bemalung sieht das Frühlingskind zwar nicht aus wie neu - das sollte es ja auch gar nicht -, aber der Arm ist wieder dran, das Kleid wieder unbeschädigt. Trotzdem sieht man, dass das Mädchen in seinem langen Leben schon viel erlebt hat und so manche Geschichte erzählen kann - zum Beispiel die, wie es zu einem neuen Arm gekommen ist.
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