Wenn sich die Schatzkammer von Wendt und Kühn öffnet


Das Herzstück der Grünhainichener Manufaktur Wendt und Kühn ist eine wahre Schatzkammer. Behütet wie der eigene Augapfel, beherbergt sie, was Firmengründerin Grete Wendt und ihre langjährige Weggefährtin Olly Wendt, geborene Sommer, hinterlassen haben. Der verantwortungsvolle Umgang mit diesem Lebenswerk schlägt die Brücke von der Vergangenheit in die Zukunft. Wir öffnen die Tür zur Schatzkammer von Wendt und Kühn und lassen Sie daran teilhaben, wie Jahrzehnte alte Muster zu neuem Leben erweckt werden.


Wendt und Kühn - SchatzkammerAuf dem Dachboden des alten Fachwerkhauses steht Dr. Anne Hennings. Sie hält einen Schatz in den Händen: Eine weitere Kiste mit alten Dokumenten, Briefen und Zeichnungen aus der fast 100-jährigen Geschichte der Werkstätten Wendt und Kühn. Die Kunsthistorikerin aus Dresden erfasst derzeit mit Akribie, Sachverstand und fast schon detektivischem Gespür alle Handskizzen und Maßzeichnungen, Unterlagen, Briefe und natürlich die historischen Muster in einer Datenbank. Stück für Stück wird vermessen, nummeriert, analysiert und zusammengeführt. Durch die Verknüpfung ergeben sich spannende Zusammenhänge, tun sich völlig neue Einblicke auf.

Fast 3.000 Datensätze sind bisher erfasst. Über 2.000 Figuren in verschiedenen Varianten widerspiegeln die scheinbar grenzenlose Schaffenskraft der Gestalterinnen. Aus diesem Reichtum schöpft die Manufaktur bis heute. Die Figuren und Kompositionen werden getreu der Muster und Entwürfe hergestellt.

 

 

 

Doch wie gelingt die Übertragung der historischen Vorlagen in die heutige Zeit? Nach welchen Kriterien werden Figuren für eine Wiederauflage ausgewählt? Und woher weiß man, wie die teilweise längst verblassten Farben früher wirklich aussahen? Die Antworten kennt Katrin Wojtkowiak, eine der Hüterinnen des Musterschatzes bei Wendt und Kühn. Jahr für Jahr trifft sie mit Kennerblick eine Vorauswahl, welche Figuren aus dem großen Musterschrank wieder zum Leben erweckt werden sollen. Der endgültigen Entscheidung der Eigentümerfamilie geht eine ausführliche Abstimmung mit allen Fachabteilungen voraus. Marktentwicklungen sowie Sammlerwünsche werden ebenso beachtet wie Anforderungen an die handwerkliche Fertigung. Bevor ein ausgewählter Artikel dann im aktuellen Verkaufskatalog zu finden ist, vergehen nochmals zwei bis drei Jahre.

Schatzkammer von Wendt und KühnAls wichtigster Grundsatz aller Entscheidungen gilt die Intention von Grete Wendt. Jeder ihrer Figuren hat sie mit einer unverwechselbaren Form- und Farbsprache einen Charakter gegeben. Diese Ausstrahlung gilt es zu erhalten. Eine höchst anspruchsvolle, aber auch dankbare Aufgabe für Katrin Wojtkowiak. Zunächst sucht sie alles zusammen, was sie zu einer Figur finden kann: Skizzen, Maßzeichnungen und Muster. Auch alte Katalogabbildungen, Briefe oder Geschäftsunterlagen geben wertvolle Aufschlüsse. Das neue Musterarchiv in Form einer modernen Datenbank wird dafür in Zukunft eine große Hilfe sein. Die Formgebung der Figur ist oftmals gut dokumentiert oder aus Maßzeichnungen und Mustern zu erschließen. Kniffliger wird es bei nicht vermessbaren Anschnitten und Winkeln. Da helfen selbstgefertigte Schablonen, um die Details der ursprünglichen Formgebung zu ergründen.


„Unser Musterschatz lebt, das Geheimnis wird sich niemals ganz ergründen.
Das Vermächtnis ist immer wieder für eine Überraschung gut!“


Der weitaus schwierigere Teil der Rekonstruktionsarbeit ist die Bestimmung der ursprünglichen Farbigkeit. Nachdem die Figuren manchmal jahrzehntelang im großen Musterschrank standen, hat auch hier die Zeit ihre Spuren hinterlassen. In solchen Fällen versucht Katrin Wojtkowiak durch den Vergleich verschiedener Muster herauszufinden, welche Farbfassung dem Original am nächsten kommt. Alte Abbildungen sind nur bedingt hilfreich, da sie bis weit ins 20. Jahrhundert hinein nur in Schwarzweiß dokumentiert sind. „Hier geben höchstens die Kontraste einen Anhaltspunkt, ob es beispielsweise ein helleres oder ein dunkleres Rot war", erzählt die studierte Holzgestalterin.

 

Hans Kunterbunt Wendt und Kühn Die Rekonstruktion der ursprünglichen Farbe gleicht einem Puzzlespiel. „Am ursprünglichen Muster verändern wir natürlich nichts", erklärt sie. „Da kann man nicht mal eben ein bisschen Farbe abkratzen, um zu sehen, wie es darunter aussieht." Die Muster bleiben unversehrt, auch für nachfolgende Generationen. Am Arbeitsplatz von Katrin Wojtkowiak liegen viele kleine Brettchen, die sich oftmals nur in winzigen Farbnuancen voneinander unterscheiden. Probe für Probe tastet sie sich an die Farbe des Originals heran. „Die Rekonstruktion eines Farbtons ist etwas völlig anderes, als selbst eine Farbfassung zu entwerfen", erläutert sie. Nachdem jede Farbe einzeln gemischt ist, gilt es, das Zusammenwirken der verschiedenen Töne an der Figur zu prüfen. Stehen zwei kräftige Farben nebeneinander, ist die Wirkung eine völlig andere als zuvor allein. Oftmals werden Kontraste dann noch abgeschwächt oder die Leuchtkraft einer Farbe gedämpft.

 

Manchmal geben auch Reparaturen wertvolle Aufschlüsse. So existierte im großen Musterschrank der Manufaktur Wendt und Kühn die Knauldame „Rokoko" nur in Rosa. Eines Tages wurde eine solche alte Knaulfrau in der Farbe Grün zur Reparatur abgegeben. Ein Glücksfall für das Sortiment. „Unser Musterschatz lebt", resümiert Katrin Wojtkowiak, „das Geheimnis wird sich niemals ganz ergründen. Das Vermächtnis ist immer wieder für eine Überraschung gut!"

 

Ist es gelungen, das Muster originalgetreu zu rekonstruieren, werden so genannte Handmuster für jede Abteilung hergestellt. Höchste Maßgenauigkeit ist hier gefordert. Daraufhin werden spezielle Dreheisen für diese Figur angefertigt. Gemeinsam mit der Meisterin der Malerei werden die Farben für die Produktion von Hand gemischt und so lange verglichen, bis sie eins zu eins der Mustervorgabe entsprechen. Am Anfang begleitet Katrin Wojtkowiak die Arbeit in den einzelnen Abteilungen, „bis die Figur wieder alleine laufen kann".

 

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