Johannes Wendt - Unternehmer mit Weitblick, Charme und Humor
In unserer Reihe mit Porträts historischer Persönlichkeiten aus der über 95-jährigen Firmengeschichte von Wendt und Kühn stellen wir Ihnen diesmal einen Mann vor, der das Unternehmen von Anfang an begleitete und wichtige geschäftliche Weichen stellte: Gretes Bruder und engsten Vertrauten Johannes Wendt.
Johannes Wendt wurde am 24. Juli 1892 als fünftes und jüngstes Kind des Grünhainichener Gewerbeschuldirektors Albert Wendt geboren. Eigentlich wollte er Marineingenieur werden, doch nach seiner Maturitätsprüfung 1913 trat er zunächst ins Fußartillerie-Regiment in Dresden ein. Schon bald musste der junge Mann ins Feld ziehen. Aus jener Zeit ist ein Brief erhalten geblieben, den Grete während des 1. Weltkrieges an ihren Bruder schickte (wir berichteten darüber bereits in der Ausgabe Herbst/Winter 2006). Der Brief begleitete ein Gabenpäckchen mit einem Weihnachtsstollen und einem für Johannes entworfenen Lichterengel, der ihm in den Kriegswirren die ferne Heimat ein Stück näher bringen sollte. Dieser so genannte '28er Engel' ist noch heute Bestandteil unseres Sortiments.
Der Ausgang des 1. Weltkrieges beendete Johannes Wendts fünfjährige militärische Laufbahn, während der er mit zahlreichen Orden und Auszeichnungen geehrt worden war. Zu Neujahr 1919 trat Johannes Wendt als Mitinhaber in die Firma seiner Schwester Grete ein. Ihm oblag die kaufmännische Leitung und Organisation des Unternehmens, so dass sich Grete Wendt nun voll und ganz auf ihre gestalterische Tätigkeit konzentrieren konnte.
Mit der Kraft seiner klaren und zielbewussten Persönlichkeit widmete sich Johannes den kaufmännischen Aufgaben und strukturierte den Betrieb nach unternehmerischen Gesichtspunkten. In seinem Vater Albert fand er dabei stets einen klugen und zuverlässigen Ratgeber. Bisher hatte eher die künstlerische Tätigkeit von Margarete Wendt und deren Studienfreundin Margarete Kühn im Mittelpunkt gestanden. Kaufmännische Dinge wie Buchhaltung und Betriebsorganisation waren mit einfachsten Mitteln erledigt worden. Schon bald begann sich der wirtschaftliche Aufstieg des noch verhältnismäßig kleinen Unternehmens auch zahlenmäßig spürbar auszuwirken. Doch eisernes Sparen war noch immer oberstes Gebot. Denn die Firma musste erweitert werden, es waren zahlreiche Neuanschaffungen nötig, und auch bauliche Veränderungen standen ins Haus. Unter Johannes Wendts Regie wurde zwischen 1924 und 1936 eine ganze Reihe von Erweiterungen und Neubauten realisiert. Johannes packte lieber selbst mit an, als Geld für Dienstleistungen auszugeben. Der örtliche Spediteur bemerkte zu seinem Leidwesen, dass die Firma Wendt und Kühn ihr eigenes 'Rollfuhrunternehmen' geschaffen hatte: Mitarbeiter jung und alt waren stets bereit, die Waren im Sommer mit dem Wagen und im Winter mit dem Schlitten zum Bahnhof und zur Post zu befördern. Wann immer möglich, wurden Reparaturen mit eigenen Mitteln durchgeführt. Alles, was einigermaßen in der eigenen Werkstatt herzustellen war, wurde aus Gründen der Ersparnis selbst gefertigt. So fehlte beispielsweise einmal ein Treibriemen - kein Problem für Johannes Wendt, der im Handumdrehen ausgediente Feuerwehrschläuche für diesen Zweck nutzbar machte. Johannes Wendt war ein Mann der Tat: Kästen schleifen, Bretter hobeln - er legte überall Hand an, wo Hilfe gebraucht wurde.
Im Februar 1920 kam die junge Olga Sommer als Mitarbeiterin ins Unternehmen. Sie war wie Grete Wendt Absolventin der Dresdner Kunstgewerbeakademie. Mit ihrer extravaganten und eleganten Erscheinung eroberte die junge Baltin nicht nur die Herzen der Grünhainichener, sondern auch das von Johannes Wendt. Olly, wie sie von allen liebevoll genannt wurde, begleitete ihn von nun an als zweite starke Frau an seiner Seite. Aber es sollten noch ganze zehn Jahre vergehen, bis die beiden den Bund der Ehe schlössen. Im Februar 1930 wurde Hochzeit gefeiert, im Oktober erblickten die Zwillinge Hans und Sigrid das Licht der Welt.
Seiner Schwester Grete blieb Johannes Wendt sein Leben lang tief verbunden. Er war ihre größte Stütze und ihr Fels in der Brandung. Die gemeinsame Kindheit hatte ein starkes Band zwischen den beiden gewebt, und die Fähigkeiten der beiden ergänzten sich auf nahezu perfekte Weise. Grete widmete sich mit ihren Entwürfen voll und ganz der Kunst, Johannes steuerte das Unternehmen als kluger und umsichtiger Kaufmann. Johannes Wendt verstand es ausgezeichnet, die Firma auch durch schwierige wirtschaftliche Situationen zu manövrieren. So brachte er in der Weltwirtschaftskrise Existenz sichernde Exportaufträge ins Haus, unter anderem aus der Schweiz und aus Schweden. Die dadurch eingenommenen Devisen bildeten eine gute Grundlage an stabilen Zahlungsmitteln für die Baumaßnahmen.
Er war es auch, der erkannte, dass neue Vertriebswege beschritten werden mussten, wenn die Firma weiter wachsen und bekannt werden wollte. Er stellte einen Verkaufsleiter ein, der das gesamte Land bereiste, um die Kunden zu beraten, Aufträge entgegenzunehmen und persönliche Beziehungen zu pflegen. Auch internationalen Ausstellungen widmete er verstärkt sein Augenmerk, um das Sortiment über Deutschlands Grenzen hinaus zu bewerben. Eine wichtige Herzensangelegenheit war für ihn der Musterschutz. In den 1930er Jahren führte er eine Reihe von Prozessen, die stets zugunsten von Wendt und Kühn entschieden werden konnten. Nach 1933 forderten die neuen Machthaber einen Einfluss auf die Produktion - Engel und Sterne entsprachen nicht den Vorstellungen der Nationalsozialisten. Johannes Wendt wehrte sich vehement gegen die staatlichen Forderungen, das Sortiment der Firma umzustellen. Selbst als ihm die Stilllegung der Werkstätten angedroht wurde, stellte er sich mit ganzer Kraft hinter die Interessen des Unternehmens. Nach und nach zog man die fähigsten Mitarbeiter in andere Firmen ab. Doch Johannes Wendt nahm lieber persönliche Unannehmlichkeiten in Kauf, um die Einbeziehung in die Rüstungsproduktion zu vermeiden. Letztendlich war jedoch auch er gezwungen, Kompromisse einzugehen. Mit der Fertigung von Modellen für Offiziersschulen sowie unterschiedlichen Fahrzeug- und Schiffsmodellen hielt er die Firma während der Kriegszeit geschickt über Wasser.
Das bedeutete für Johannes Wendt jedoch nicht das Ende des Leids, sondern den Beginn des schwärzesten - und letzten - Kapitels seines Lebens. Am 21. September 1945 wurde Johannes Wendt auf die Kommandantur der russischen Besatzungstruppen gerufen - und seitdem wurde er zu Hause nie wieder gesehen. Wohin ihn sein Weg führte und wie sein Leben auf tragische Weise endete, das erfuhren seine Kinder erst nach vielen Jahren und intensiven Nachforschungen. Einmal noch hatte die Familie Gelegenheit, den Vater nach seiner Verschleppung zu sehen. Johannes Wendt war in ein Außenlager von Buchenwald gebracht worden, und Olly hatte versucht, ihm Winterkleidung ins Lager zu bringen. Seine Tochter Sigrid, damals 15 Jahre alt, hat die schmerzliche Erinnerung an dieses letzte Treffen in bewegenden Worten festgehalten: "Vati stand vor einem kleinen Holzhäuschen, seine Haare waren schneeweiß geworden, er trug keinen Schlips, für mich unverständlich - ich hatte Vati noch nie ohne Schlips gesehen ..."
Es folgten Jahre der Ungewissheit, was mit dem Vater geschehen war - eine schier unerträgliche Situation für die gesamte Familie. Fehlte Johannes Wendt doch nicht nur als Vater und Ehemann, sondern auch als leitender Kaufmann der Firma. Und so blieb den beiden Frauen Olly und Grete Wendt nichts anderes übrig, als die Geschicke des Unternehmens in der rauen Nachkriegszeit allein in die Hand zu nehmen. Doch Olly und Grete gaben niemals die Hoffnung auf, den Bruder und Ehemann doch noch zu finden - und zwar lebend! Leider blieben die unzähligen Gesuche sowohl bei deutschen als auch bei russischen Behörden erfolglos, die Fürsprachen der Belegschaft, des Bürgermeisters und des örtlichen Kantors ungehört. Erst nach vielen Jahren erfährt die Familie, dass Johannes Wendt am 7. Dezember 1945 im russischen Internierungslager Tscherepowez verstorben ist. Im Juli 1976 wird er offiziell für tot erklärt.
Viele Jahre und endlose Nachforschungen später treten Hans und Sigrid Wendt im September 1995 eine beschwerliche, aber auf gewisse Weise auch erleichternde Reise an. Eine Historikerin hatte im Archiv der russischen Stadt Wologda einen Hinweis auf Johannes Wendt gefunden. Und so begaben sich die Zwillinge auf den Weg nach Wologda, wo Johannes Wendt die letzten Tage seines Lebens verbrachte. Fünfzig Jahre nach seinem Tod wollten sie vom geliebten Vater Abschied nehmen. Ein Innehalten auf dem Friedhof, in stillen Gedanken an die kurze, so wertvolle gemeinsame Zeit, half die Jahrzehnte alten Wunden zu lindern. In ehrendem Gedenken an alle, die das grausame Schicksal ihres Vaters teilten, sorgten die Geschwister durch ihr Engagement und ihre finanzielle Unterstützung dafür, dass in Wologda ein Grabmal errichtet wurde - für alle deutschen Gefangenen, die auf diesem Friedhof bestattet wurden. Mit diesem Grabmal, aber auch im Geist der Firma Wendt und Kühn lebt die Erinnerung an einen Mann fort, der mit seiner Großherzigkeit, seinem Unternehmergeist, seinem hellen Verstand und seinem herzlichen Humor die Werkstätten Wendt und Kühn über Jahrzehnte prägte und den kreativen Geist der genialen Gestalterinnen Grete und Olly Wendt mit seiner Kraft und Liebe beflügelte.
Lesen Sie hier weitere interessante Geschichten rund um Wendt und Kühn
Copyright 2011 Wendt & Kühn KG. Alle Rechte vorbehalten. Alle Texte, Bilder, Grafiken, Ton-, Video- und Animationen unterliegen dem Urheberrecht und anderen Gesetzen zum Schutz geistigen Eigentums. Sie dürfen weder für Handelszwecke oder zur Weitergabe kopiert, noch verändert und auf anderen Websites verwendet werden. Einige Texte, Bilder, Grafiken, Ton-, Video- und Animationen unterliegen dem Urheberrecht derjenigen, die diese zur Verfügung gestellt haben. Die Informationen stellt die Wendt & Kühn KG ohne jegliche Zusicherung oder Gewährleistung jedweder Art, sei sie ausdrücklich oder stillschweigend, zur Verfügung. Auch wenn wir davon ausgehen, dass die von uns gegebenen Informationen zutreffend sind, können sie dennoch Fehler oder Ungenauigkeiten enthalten.